Anna Munch – Frauen

Cover_Munch_FrauenSeit dem modernen Durchbruch ist Skandinavien international bekannt für seine starken Frauenfiguren. Sie sind schon fast ein Markenzeichen, wie Jakob Holm, Lektor für skandinavische Literatur und Kultur an der University of Texas Anfang März in der dänischen Wochenzeitung Weekendavisen schreibt. Seine texanischen Studentinnen lesen mit Begeisterung Ibsen und Amalie Skram, weil sie dort die Konflikte beschrieben finden, die sie in ihrem eigenen Alltag beschäftigen.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in Texas nicht sonderlich verbreitet, Sexualkunde und Abtreibung sind heiß diskutierte Themen und ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihr Leben und ihren Körper kaum vorhanden. Anna Munchs »Frauen« würde dort sicherlich mit Begeisterung gelesen, zumal die Autorin mit ihrem eigenen bewegten Leben auf großes Interesse stoßen dürfte.

Die Zeitgenossin Georg Brandes ließ sich von ihrem ersten Ehemann scheiden, hatte eine Liebschaft mit Knut Hamsun, begann aus der finanziellen Not heraus zu schreiben und heiratete 1910 den 15 Jahre jüngeren und homosexuellen Schriftsteller Sigurd Mathiesen.

Nun herrschen bei uns sicherlich mehr ganz so extreme Verhältnisse wie in Texas, aber immerhin dürfen Frauen in Deutschland erst seit 38 Jahren ohne Erlaubnis ihrer Männer arbeiten und gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist keineswegs Standard, von den enormen Problemen alleinerziehender Frauen mal ganz abgesehen. Und genau deshalb ist Anna Munchs Roman »Frauen«, den sie 1889 veröffentlichte, auch hier durchaus noch aktuell.

Im Zentrum stehen drei Schwestern, die in Christania, dem heutigen Oslo, in gutbürgerlichem Hause aufwachsen. Johanne, die älteste, heiratet einen Landpfarrer und folgt ihm hoch in den Norden. Die temperamentvolle Dagmar geht in einem romantischen Augenblick und aus dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit die Ehe mit einem Mann ein, mit dem sie nichts verbindet. Ein irreversibler Fehler, der sie verzweifeln lässt.

Bergljot hingegen verliebt sich in den Maler und Bohemien Norby. Ihr Verhältnis ist Geheimnis und Abenteuer zugleich und nach wenigen Monaten beendet. Nordy ist an keiner ernsthaften Beziehung interessiert. Und obwohl auch für Bergljot eine lebenslange Bindung schwer vorstellbar ist, ist sie doch enttäuscht von Nordby und zieht sich zurück.

Zusätzlich verwirrt durch die aufkeimenden Gefühle zu ihrem Vetter Gunnar und die Grübeleien über die unglückliche Ehe ihrer Schwester, misst sie ihrer ständigen Erschöpfung keinerlei Bedeutung bei. Umso größer ist der Schock als ihr klar wird, dass sie, die Leserin hat es schon längst vermutet, schwanger ist. Was tun? Ihrer Familie will sie keine Schande machen, eine Beziehung zu Gunnar ist nun unmöglich. Und zu allem Überfluss will Norby das Bild, das er von ihr gemalt hat, ausstellen und ihre Affäre damit öffentlich machen. Vermögen besitzt sie keines, nur ein paar kleine Schmuckstücke, die sich vielleicht zu Geld machen lassen.

Eine verzweifeltere Situation hätte sich Anna Munch für Bergljot kaum ausdenken können. Selbstmord oder Flucht sind die einzigen Auswege. Nach reiflichen Überlegungen und heimlichen Recherchen besteigt Bergljot den nächste Amerikadampfer und wandert aus. Nur Gunnar erhält ein paar Zeilen zum Abschied. Ihre Familie soll nicht vom Schlimmsten ausgehen müssen.
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, wenn sich Bergljot nicht in Gunnar getäuscht hätte. Der ist keineswegs ein Mann seiner Zeit ist, sondern stellt seine Gefühle für Bergljot über die Konventionen. Er macht sie ausfindig und reist ihr nach, in das Land, in dem teilweise heute noch ähnliche moralische Ansichten herrschen, wie damals in Oslo.

Anna Munchs Roman hat mich berührt und Bergljots Mut beeindruckt. Besonders charmant finde ich die Sprache, die im Gegensatz zu heute nicht alles in explizite Worte fassen will, sondern herrliche Umschreibungen und Andeutungen für das Unsagbare findet, was auch der Übersetzerin Gabriele Haefs zu verdanken ist.
Anna Munchs »Frauen« ist eine wirklich lesenswerte Wiederentdeckung.

Anna Munch
Frauen
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
ISBN 978-3-945242-14-8
Edition Narrenflug

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