
80 Jahre Mumins
Im Schatten der Kriege
1945 veröffentlichte die finnische Malerin, Schriftstellerin, Illustratorin und Comiczeichnerin Tove Jansson ihr erstes Mumin-Buch »Småtrollen och den stora översvämningen« (»Mumins lange Reise«). Der Text und die Illustrationen entstanden in der Zeit von 1939 bis 1945. Finnland kämpfte in diesen sechs Jahren in drei Kriegen: dem Winterkrieg, dem Fortsetzungskrieg und dem Lapplandkrieg. Eine dunkle Zeit, die Tove bedrückte. Vor Kriegsbeginn hatte sie Europa bereist und in Paris studiert, jetzt waren die Grenzen geschlossen und es herrschte Materialknappheit.
Ihre Sehnsucht nach besseren, lichteren Tagen, aber auch ihre Faszination für Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Stürme und Vulkanausbrüche haben bereits in diesem Mumin-Buch ihren Niederschlag gefunden. Besonnenheit, der Glaube an das Gute und Zusammenhalt sind ebenfalls charakteristisch für die skurrile Gesellschaft, die das Mumintal nach und nach bevölkern wird.
Ob Mumintroll oder kleines Tier, alle Figuren sind ganz eigene Persönlichkeiten mit kleinen Schwächen und oft großen Herzen. Auch ihre kuriosen Einfälle machen die Lektüre der Bücher zu einem ganz besonderen Vergnügen. Ich jedenfalls habe beim Lesen viel geschmunzelt und gelacht, obwohl die Mumins in dieser Geschichte tatsächlich um ihre Existenz kämpfen. Es geht um Licht und Schatten, das Gute gegen das Böse und darum, allen Widrigkeiten zum Trotz, nie den Mut zu verlieren.
Mumins lange Reise
Es beginnt in einem dunklen Urwald. Nur Glühwürmchen leuchten Mumin und seiner Mutter den Weg, von dem sie nicht wissen, wohin er sie führt. Sie sind auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Früher lebten die beiden mit dem Muminvater hinter einem Kachelofen – einem großen, runden, weißen, wie man ihn auch aus den Büchern von Astrid Lindgren kennt. Doch diese Öfen gibt es kaum noch und hinter einer Zentralheizung fühlt sich ein Mumin nicht wohl.
Der Muminvater hat die kleine Familie verlassen. Die Hatifnatten, im wahrsten Sinne des Wortes unruhige Geister, haben ihn überredet mit zum nächsten Ofen zu ziehen und danach zum nächsten und wieder nächsten. Wo der Muminvater sich jetzt befindet, wissen Mumin und seine Mutter nicht.
Viel Zeit sich darüber Gedanken zu machen haben die beiden nicht. Der Winter steht vor der Tür und Kälte mögen Mumins noch weniger als Zentralheizungen. Aber wo sollen sie bloß ein neues, gemütliches Haus bauen? Der Urwald jedenfalls macht keinen besonders einladenden Eindruck und die glühenden Augen, die Mumin aus der Finsternis anstarren, versetzen ihn in Angst und Schrecken. Aber die Muminmutter sagt:
»Das ist bestimmt ein ganz kleines Tier. Ich werde es mal anleuchten. Du weißt doch, dass im Dunkeln alles viel schlimmer aussieht.«
Auf ihrer langen Reise ist vieles anders, als es auf den ersten Blick scheint. Das Leben in dem künstlichen Schlaraffenland mit seinem Schnee aus Speiseeis und seinen Limonadenflüssen erscheint ihnen nach dem Urwald paradiesisch – bis Mumin und das kleine Tier sich mit den Süßigkeiten den Magen verderben. Die Muminmutter hingegen gerät an einem herrlich sonnigen Strand in Not, als ein Ameisenlöwe ihr Sand in die Augen streut und eine Grube gräbt.
Mit gegenseitiger Unterstützung, Freundlichkeit und Empathie gelingt es der kleinen Gesellschaft einem Sturm zu trotzen, keinen Schiffbruch zu erleiden und eine große Überschwemmung nass aber munter zu überstehen. Und da auf Regen bekanntlich Sonnenschein folgt, endet die Geschichte mit der Rettung des Muminvaters und der Entdeckung des perfekten Hauses – welches natürlich einem alten Kachelofen ähnelt.
Tove Jansson hat die Geschichte mit hinreißenden Tuschezeichnungen illustriert. Die Mumins, deren Name im Titel des ersten Bandes nicht genannt werden durfte, weil der Verleger ihn für zu exzentrisch hielt, haben hier noch schmalere Schnauzen und weniger Rundungen als in den späteren Büchern und Comics. Der Stil der Illustrationen hat sich im Laufe der folgenden dreissig Jahre immer wieder geändert. Tove Jansson experimentierte unter anderem mit Schraffuren, Gouache und der Kratztechnik. Ihre Lebensgefährtin Tuulikki Pietilä hat darüber hinaus etliche Szenen aus den Büchern in dreidimensionale Tableaus umgesetzt.
Das Mumin-Museum in Tampere
Zu sehen sind die Mumin-Kunstwerke der beiden Frauen in dem großartigen Mumin-Museum in Tampere, Finnland. 2019 habe ich es besucht und bin heute noch begeistert von der Welt, die man dort betritt, von dem leuchtenden Kometen, den vielen Originalzeichnungen und der großen Sammlung an Übersetzungen. Das Museum ist auch außerhalb des Jubiläums und seiner Events eine Reise wert und die Lektüre der Mumin-Bücher und Comics ist sowieso immer ein Erlebnis.

Tove Jansson
Mumins lange Reise
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
ISBN 978-3-401-60281-3
Arena Verlag
Foto: Anne Nygård auf Unsplash
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