Jens Henrik Jensen – Oxen. Lupus

Dämonen und andere Probleme

»Wer hätte gedacht, dass das Böse so böse ist?«, mag sich mancher fragen. Für den ehemaligen Jägersoldaten Niels Oxen hingegen hält das Böse längst keine Überraschungen mehr bereit. Nach wie vor quälen ihn seine sieben Dämonen. Noch immer läuft er nachts kilometerweit durch Kopenhagens Straßen, um Ruhe zu finden. In seiner Therapie macht er kaum Fortschritte und an ein normales Arbeitsleben ist gar nicht zu denken.

Am Schwersten wiegt für Oxen allerdings das distanzierte Verhältnis seinem Sohn. Magnus soll noch nicht erfahren, zu was Menschen fähig sind. Weshalb ihm Oxen nichts von seinen Kriegserlebnissen erzählt und Magnus nicht das merkwürdige Verhalten seines Vaters versteht. In Magnus’ Augen ist Oxen der größte Langweiler des Universums – denn wer geht schon lieber in den Zoo als zu einem Fußballspiel nur weil dort weniger Menschen sind.

Lupus

In dieser verfahrenen Situation tritt der ehemalige Leiter des Geheimdienstes Mossman mit einer schlichten Bitte an Oxen heran. Oxen soll einen kleinen Ausflug nach Jütland machen und dort nach dem Eigentümer von Harrildholm sehen. Zu gerne würde Mossman mit diesem Mann ein paar Worte über Lupus wechseln, auf den er in den Danehof-Akten gestoßen ist. Aber Poul Hansen scheint wie vom Erdboden verschluckt.

Wer die Oxen-Trilogie gelesen hat – was vor der Lektüre von »Lupus« empfehlenswert ist – der ahnt, dass der alte Bluthund Mossman einer neuen Verschwörung auf der Spur ist. Lupus scheint immer dann unbemerkt in Erscheinung zu treten, wenn die Justiz versagt, wenn Opfern keine Gerechtigkeit widerfährt. Dann stirbt ein Drogendealer an einer Überdosis, stürzt ein Kinderschänder im Urlaub von den Klippen und wird ein brutaler Schläger so zugerichtet, dass er gegen niemanden mehr die Hand erheben kann.

Wer suchet, der findet

Eigentlich verspürt Oxen wenig Lust, Mossmans »black knight in shining armour« zu spielen, aber die Harrilder Heide zieht ihn magisch an, könnte er dort doch endlich einen Wolf in freier Wildbahn beobachten und sich damit einen geheimen Wunsch erfüllen.
Als Oxen auf Harrildholm einen alten Zeitungsausschnitt findet, der sich auf die Ereignisse bezieht, bei denen seine Partnerin Margrethe Franck ihr Bein verlor, wird alledings seine Neugier geweckt. Und auch Margrethes.
Diese steckt zwar bis über beide Ohren in Arbeit, kann es sich aber dennoch nicht verkneifen, einige Nachforschungen anzustellen.
Und wer sucht, der findet. Der stellt vielleicht auch die eine oder andere unbequeme Frage. Der stöbert unter Umständen Menschen auf, die nicht gefunden werden wollen und alles daran setzen, ihre Gegner zu eliminieren.

Spuren und Fallen

An diesem Punkt nimmt die Handlung rasant Fahrt auf. Bislang hatte der Autor Jens Henrik Jensen seiner Erzählweise treu, lediglich Spuren und Fallen gelegt. Ein Leichenfund in einem Bach, ein 1963 entführtes Mädchen und ein Attentat auf einen Gangster geben weitere Rätsel auf. Wie auch der Schatten, der durch die Harrilder Heide streift und jemanden beim Vergraben einer Leiche beobachtet. Noch ist zwischen diesen Ereignissen kein Zusammenhang erkennbar.

Aber jetzt, als kurz hintereinander zwei Anschläge auf Margrethe Franck verübt werden, wird die Lösung des Falls und die Enttarnung von Lupus dringlich. Nicht nur für Oxen, Mossman und Franck, sondern auch für die Leserin, die schon längst nicht mehr das Buch aus der Hand legen kann. Immer näher kommen die drei den Verschwörern und geraten in eine prekäre Situation nach der anderen. Am Ende kommt es, wie auch in den Bänden zuvor, zu einem atemberaubenden Showdown, der an überraschenden Wendungen nichts zu wünschen übrig lässt.

Ende gut, alles gut?

Und dann? Ende gut alles gut? Nein, das lässt sich auf der letzten Seite so nicht sagen. Zwar wird der Fall gelöst und Lupus außer Gefecht gesetzt, aber seine Dämonen besiegt Oxen nicht. Nur die Beziehung zu seinem Sohn bessert sich ein Stück weit. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, dass Jens Henrik Jensen auch nach »Lupus« noch nicht bereit ist, sich von Oxen zu verabschieden. Wogegen ich wahrlich nichts hätte. In den Danehof-Akten, die Mossman damals beiseite geschafft hat, steckt sicherlich noch mehr, was der Aufklärung bedarf.

»Lupus« ist ein solider Thriller, der sich in der Grauzone zwischen Gut und Böse, Schwarz und Weiß bewegt. Heldengeschichten gibt es hier keine – nur Menschen, die auf die Konfrontation mit dem Bösen auf ganz unterschiedliche Weise reagieren und ihre Konsequenzen daraus ziehen. Einzig die Wolfsmetapher wird etwas überstrapaziert. Aber das sollte wirklich niemanden von der äußerst fesselnden Lektüre dieses Buches abhalten.

Mehr zu der Oxen-Trilogie auf meinem Blog:
Oxen – Das erste Opfer
Oxen – Der dunkle Mann
Oxen – Gefrorene Flammen


Cover Jens Henrik Jensen Oxen Lupus

Jens Henrik Jensen
Oxen
Lupus
Aus dem Dänischen von Friederike Buchinger
ISBN 978-3-423-26243-9
dtv