Niklas Natt och Dag – 1794

Finstere Zeiten

Wir schreiben das Jahr 1794, das ebenso finster zu werden verspricht wie das Vorjahr. Gerade hat der heimliche Herrscher des Reiches, Baron Reuterholm, ein Kaffee-Verbot erlassen. Zu sehr fürchtet er die konspirativen Treffen seiner Widersacher in den Kaffeehäusern und das Gerede. Ergo konsumieren die Stockholmer, die es sich leisten können, soviel Kaffee wie sie können – in der stillen Hoffnung die Wirkung möge bis zur Aufhebung der Prohibition anhalten. Außerdem leidet die gesamte Stadt unter einer ungewöhnlichen Hitzewelle.

Ein Gespenst gibt sich die Ehre

Jean Michael Cardell versucht diese quälenden Tage möglichst zu verschlafen. Doch Durst, Hunger und Läuse lassen ihm kaum eine Chance. Und als wären dies nicht schon Widrigkeiten genug, begegnet ihm eines Abends auch noch ein Gespenst. In einer dunklen Ecke seines Treppenhauses steht plötzlich der Mann vor ihm, den er vor einem halben Jahr zu Grabe getragen hat: der Jurist Cecil Winge, mit dem er 1793 das Rätsel um den Toten im Fatburen gelöst hat.

Cardells Schock währt allerdings nicht lange, denn das Gespenst entpuppt sich als Cecil Winges jüngeren Bruder Emil. Tatsächlich kommt Emil Cardell wie gerufen, da ihm seit ein paar Tagen ein neuer Fall Kopfzerbrechen bereitet. Vielleicht sieht Emil seinem berühmten Bruder nicht nur ähnlich, sondern hat auch dessen scharfen Verstand. Mit reiner Muskelkraft und Brutalität wird Cardell der bemerkenswerten Frau jedenfalls nicht helfen können, die den Mörder ihrer Tochter sucht.

Der neue Fall

Einst hatte Margareta Colling eine Tochter namens Linnea Charlotta. Ein eigenwilliges Mädchen, das, so hoffte Margareta, ihren Weg gehen und ihren Verstand nutzen würde. Den ersten Schritt dazu hatte Linnea schon gemacht und entgegen aller Konventionen den Erben von Drei Rosen geheiratet – aus Liebe. Einen Junge, der sie bewunderte und als ebenbürtig betrachtete, der ihr alle Freiheiten lassen würde, das zu tun, was ihr wichtig war. Aber dann war Linnea in der Hochzeitsnacht auf bestialische Weise ermordet worden.

Ein Wolfsrudel hätte sie bei einem nächtlichen Spaziergang angefallen und zerfleischt, hatte man den entsetzten Eltern erzählt. Nur dass es im Wald von Drei Rosen keine Wölfe gab wie Margareta sehr wohl wusste – zumindest keine mit Pfoten und Fell. Ihr Mann hatte den Verlust der Tochter nicht verkraftet und sich ertränkt. Margareta daraufhin Haus und Pacht verloren. Seitdem trieb sie die Frage um, wer im Stande war, ihrer Tochter so etwas Entsetzliches anzutun.

Was zuvor geschah

Als Cardell und Winge sich zum Tatort begeben, haben wir schon einen beträchtlichen Wissensvorsprung, denn der Roman beginnt mit der Geschichte des Bräutigams. Wir ahnen bereits wer hinter dem Mord steckt und sind gespannt, wie Cardell und Winge dem Täter wohl Spur kommen. Wer bis zu diesem Zeitpunkt übrigens noch keine veritable Gänsehaut hat, wer bis dahin noch nicht das Grauen spürt, das Zeile um Zeile in die Geschichte eingesickert ist, der kann sich mit Fug und Recht als äußerst abgebrüht bezeichnen. Ich gehöre nicht dazu und habe das Buch, ebenso wie seinen Vorgänger »1793«, mit schaurigem Vergnügen verschlungen. Auch, weil Erik Drei Rosens Schicksal Teil eines düsteren Kapitels der skandinavischen Geschichte ist, welches mich seit der Lektüre von Thorkild Hansens großartigen Trilogie über die Küste, die Schiffe und die Inseln der Sklaven sehr interessiert.

Wäre seine Mutter nicht bei seiner Geburt gestorben, hätte Erik Drei Rosen als jüngster Sohn eines Gutsbesitzers ein sorgloses Leben haben können. Doch dem verbitterten Vater konnte Erik nichts recht machen und als Erik obendrein die Tochter des Pächters heiraten will, anstatt sich das Mädchen als Mätresse zu halten, ist das Maß voll. Zusammen mit seinem Cousin wird Erik fortgeschickt, nach Barthelmi, einer kleinen Insel mit einem großen Sklavenmarkt. Dort, weit weg von Linnea Charlotta, soll er sich nützlich machen. Doch Eriks Herz ist zu weich für den Sklavenhandel, der Junge zu naiv und vertrauensselig, um nicht direkt in sein Verderben zu rennen.

Eine zwielichtige Gestalt

Erik gerät an den zwielichtigen Tycho Ceton, der vorgeblich Sklaven aufkauft und freilässt. Für Erik ist Ceton der erste Mensch, der ihm auf Augenhöhe begegnet, der ihn und seine Liebesqualen zu verstehen scheint, der ihm ein väterlicher Freund ist. Als Eriks Vater und sein älterer Bruder kurz nacheinander sterben, ist Erik daher begeistert von Cetons Angebot, die Vormundschaft für den Minderjährigen zu übernehmen und das Erbe zu verwalten. Uns hingegen hat da schon längst das Gefühl beschlichen, dass sich hinter dem entstellten Gesicht Cetons mitnichten ein Menschenfreund verbirgt und der süßliche Duft der Frangipanis hinter Cetons Haus einen ganz anderen Geruch überdeckt.

Ein Faden wird aufgenommen

Wer jetzt schon das Gefühl hat, es mit einem komplexen Roman zu tun zu haben, dem sei gesagt, dass noch ein Handlungsstrang hinzukommt. Wir erfahren nämlich auch, wie es mit Anna Stina Knapp weitergeht, der klugen und starken Frau, der im vorherigen Roman unter äußerst widrigen Umständen die Flucht aus dem Spinnhaus gelang. Ihr Schicksal ist auch diesmal wieder mit Cardells und Winges Fall eng verknüpft.

Überhaupt war ich wieder sehr angetan davon, wie listig und geschickt Niklas Natt och Dag die Geschichten der Figuren miteinander verwoben hat, wie empathisch und detailliert er erzählt ohne jemals zu langweilen oder abzuschweifen. Zu meiner persönlichen Freude hat der Roman auch wieder eine gute Portion Humor neben allem Abgründigen, Grausamen und Verruchten. Allzu zart besaitet sollte man für die Lektüre dieses Buches allerdings nicht sein, besonders was Gerüche angeht.

Auch über »1793«, den ersten Band der Reihe, habe ich einen Blogbeitrag geschrieben.


Cover Niklas Natt och Dag - 1794

Niklas Natt och Dag
1794
Aus dem Schwedischen von Leena Flegler
ISBN 978-3-492-06194-0
Piper Verlag

2 Antworten zu „Niklas Natt och Dag – 1794“

  1. Ach, ich muss mich doch erstmal in das Jahr „1793“ stürzen…. 🙂 Viele Grüße

    1. Ja, bei dieser Reihe bietet es sich tatsächlich an mit dem ersten Band zu beginnen. Ich wünsche Dir schon mal eine gute Zeitreise. Viele Grüße.