Tor Even Svanes – Ins Westeis

Cover Tor Even Svanes Ins WesteisVier Männer und eine Frau, zusammengepfercht an Bord eines Schiffes auf dem Weg ins Westeis. Mögen die Machtspiele beginnen.

Kalt ist es auf der Kvalfjord, sehr kalt. Was nicht an den arktischen Gewässern liegt, in denen sie sich gerade befindet. Es ist die menschliche Kälte der Mannschaft, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. An Bord befinden sich der Kapitän, zwei Robbenjäger und ein Häuter. Und die Inspektorin Mari, die im Auftrag der Fischereiaufsicht sicherstellen soll, dass bei der Jagd kein Tier unnötig gequält wird. Sollten die Regeln der Fischereiaufsicht übertreten werden, kann Mari die Jagd abbrechen und das Schiff zurückbeordern. Theoretisch.

Die Bedrohung

Bereits auf dem Weg ins Eis bricht der Telefonmast – bei vollkommener Windstille. Jetzt ist Kommunikation nur noch per Funk möglich. Jeder kann jedes Gespräch mithören. Ab sofort kann sich Mari nicht mehr mit ihren Vorgesetzten beratschlagen, ohne dass die Mannschaft der Kvalfjord davon erfährt.

Jedes mal, wenn Mari duscht, verschwinden ihre Kleider von der Bank vor dem Bad. Und jedes mal findet sie sie sorgfältig zusammengelegt in ihrer Kabine wieder, nachdem sie fröstelnd und nur mit einem Handtuch bekleidet über den Gang zurück gerannt ist.
Nachts hört Mari seltsame Geräusche vor ihrer Kabinentür und riecht Zigarettenrauch. Aber als Mari die Männer darauf anspricht, zucken diese nur grinsend mit den Achseln.

Die Jagd

Schon vom ersten Jagdtag an merkt Mari, dass die Männer mitnichten vorhaben, sich an irgendwelche Paragraphen zu halten. Die halbautomatischen Gewehre verleihen ihnen Macht und sie leben ihre Mordlust hemmungslos aus. Denn wer sollte sie hier draußen im ewigen Eis schon stoppen? Etwa die kleine Hure, die sich Inspektorin nennt?

Es ist ein wahres Gemetzel, dass die Robbenjäger anrichten. Zahllose Tiere werden lediglich angeschossen und können ins Meer fliehen, wo sie qualvoll verenden. Einige werden von den Schüssen regelrecht durchsiebt, andere mit dem Hakapik brutal erschlagen. Und je mehr Blut fließt, desto aggressiver werden die Männer.
Mari beobachtet das alles mit Entsetzen. Aber jeder Versuch, die Männer zur Vernunft zu bringen, sei es mit freundlichen Worten oder Drohungen, schlägt fehl. Im Gegenteil,  der Kapitän rät ihr sogar, sich lieber in Acht zu nehmen. Dort draußen könne schließlich viel passieren und das Eis habe kein Gedächtnis.

Als die Situation an Bord endgültig zu eskalieren droht, legt überraschend eine Fregatte längsseits. Eine unangemeldete Kontrolle, wie sich herausstellt, die allerdings mehr pro forma als ernsthaft ist. Von Maris Anschuldigungen ist der Fregattenkapitäne sogar regelrecht überfordert. Nein, mitnehmen könne er sie leider nicht, schließlich sei keine Kabine mehr frei. Und so bleibt Mari nur noch ein äußerst riskanter Ausweg.

Abgründe

Was sich die Menschen in »Ins Westeis« gegenseitig antun, ist laut Tor Even Svanes frei erfunden. Allerdings haben einige der Jagdszenen tatsächlich so statt gefunden. Die Beschreibungen stammen teilweise aus existierenden Berichten von Inspektoren, was die Geschichte noch schockierender macht.

Hinzu kommt, dass Tor Even Svanes es meisterlich versteht, mit winzigen Andeutungen subtilen Horror zu erzeugen. Von der ersten Seite an habe ich das Schlimmste vermutet und das Grauen hat mich für den Rest des Buches nicht mehr losgelassen. Ob meine Vermutungen am Ende tatsächlich alle eingetreten sind, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten. »Ins Westeis« ist jedenfalls eine ungeheuer gelungen Geschichte, die auf mehr von Tor Even Svanes hoffen lässt. »Ins Westeis« mit seinen knapp 200 Seiten hat man nämlich leider viel zu schnell durchgelesen.

Tor Even Svanes
Ins Westeis
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann
ISBN 978-3-95510-115-2
Osburg Verlag

Eine weitere, ausführliche Besprechung gibt es auf diesem Blog Zeichen & Zeiten.

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2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich kann Dir nur zustimmen: Dieses Buch sorgt für Spannung und Beklemmung. Ich habe es an einem Abend gelesen und fand die Sprache und diesen sehr filigranen Aufbau der Handlung mit jenen kleinen Abschnitten einzigartig. Ein Autor, den man wirklich im Auge behalten sollte. Ein Bericht folgt. Viele Grüße

    • Danke. Ja, spannend und beklemmend trifft es wirklich sehr gut. Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann haben mit ihrer Übersetzung ein großartiges Stück Literatur geschaffen.Ich freue mich schon auf Deinen Bericht. Sehr! Viele Grüße