Amalie Skram – Professor Hieronimus

Spitze Schreie, leises Wimmern, hämmernde Fäuste und lautes Poltern, es ist ein infernalischer Lärm, der Else Kant in ihrer Zelle wach hält. Dabei hat sich die Malerin gerade wegen ihrer anhaltenden Schlaflosigkeit einweisen lassen. Seit Wochen hat sie kein Auge mehr zugetan und kein Bild mehr beendet. Jetzt soll ihr der renommierte Nervenarzt Professor Hieronimus die Erholung verschaffen, die sie braucht, um endlich wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, fern von Mann und Kind.

Doch schon bei der Aufnahme in die Klinik kommt es zu Problemen. Else wird ein Zweibettzimmer zugewiesen. Umgehend begehrt sie auf. Wie bitte schön soll sie zur Ruhe kommen, wenn sie ihr Zimmer mit einer anderen Patientin teilen muss? Professor Hieronimus lächelt und verlegt sie in ein Einzelzimmer, mit nackten Wänden, einem schäbigen Bett und einem winzigen Fenster.
Und bevor Else auch nur ein Wort sagen kann, reißen ihr die Schwestern die Kleider vom Leib und stecken sie ins Bett, das sie ab sofort nur noch mit der Erlaubnis des Professors verlassen darf.

Zunächst glaubt Else noch an ein Missverständnis und appelliert an die Vernunft des Professors, aber schon bald mehren sich die Zeichen, dass dieser etwas ganz anderes im Sinn hat als ihr Wohlergehen. Mit ihrer Widerspenstigkeit hat Else Hieronimus gegen sich aufgebracht. Eine Frau hat sich schließlich klaglos in ihr Schicksal zu fügen und sollte immer bestrebt sein, ihm, dem Manne zu gefallen. Aber das wird er ihr schon noch beibringen, immerhin hat er die Macht zu entscheiden, wer geisteskrank ist und wer nicht.

Für Else beginnt ein monatelanger Kampf um die Anerkennung ihrer geistigen Gesundheit, die dabei fast auf der Strecke bleibt.

Amalie Skram hat »Professor Hieronimus« 1895 geschrieben. Damals während des Modernen Durchbruchs wurden die Geschlechterrollen in Dänemark und Norwegen heftig diskutiert, nachdem Georg Brandes John Stuart Mills Essay »The Subjection of Women« auf dänisch veröffentlicht hatte.
Umso erschreckender ist die Zeitlosigkeit dieses Romans. Die Mittel und Mechanismen, die Professor Hieronimus anwendet, um Else zu brechen, werden nach wie vor variantenreich dazu benutzt, alte Rollenbilder zu zementieren und Frauen in ihrer Selbstbestimmtheit einzuschränken.

Das Buch ermutigt aber auch, nämlich seinen Instinkten zu vertrauen und selbstbewusst zu seiner Meinung zu stehen. Eigensinn und Sturheit sind hier eindeutig positiv besetzt. Für Else sind diese Eigenschaften letztendlich überlebenswichtig.
Die lebendige und so gar nicht angestaubte Sprache trägt dank der Übersetzerin Christel Hildebrandt dazu bei, dass der Roman frisch und eingängig zu lesen ist. Mehr über die bei uns leider kaum bekannte Autorin und ihr bewegtes Leben erfährt man in dem erhellenden Nachwort von Gabriele Haefs.


Cover Amalie Skram, Professor Hieronimus

Amalie Skram
Professor Hieronimus
Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs
ISBN 978-3-945370-07-0
Guggolz Verlag

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