Heðin Brú – Vater und Sohn unterwegs

Eigentlich ist es die ewig alte Geschichte. Die Eltern verstehen ihre Kinder nicht und umgekehrt. Die Kinder sind zu faul, nehmen das Leben zu sehr auf die leichte Schulter, denken nicht an die Zukunft und schmeißen das Geld zum Fenster raus. Die Alten hingegen gehen nicht mit der Zeit, können ihr Leben nicht genießen, sind viel zu verbissen und haben sowieso keine Ahnung. Die Platte kennen die meisten zu genüge.

Interessant und spannend wird es aber, wenn der Konflikt zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort ausgetragen wird, wie dies in dem Roman von Heðin Brú der Fall ist. »Vater und Sohn unterwegs«spielt Anfang der 40er Jahre auf den Färöern, als Moderne und Technik auch dort langsam Einzug halten.

Vater Ketil gehört noch zum alten Schlag. Er sammelt alles auf, was später vielleicht nützlich sein könnte. Freizeit kennt er nicht. Wenn er draußen nicht auf Fischfang gehen kann, sitzt er drinnen und spinnt Wolle, damit seine Frau Pullover stricken kann, die sie anschließend verkaufen. Allerdings nicht in der Hauptstadt Tórshavn. Dort stehen die Häuser nach Ketils Geschmack viel zu eng beisammen, nirgends kann man sein Wasser lassen ohne dabei gesehen zu werden.

Ketils Haus ist traditionell mit Birkenrinde und Grassoden gedeckt. Bei Sturm muss man sich schon mal drauf setzten, damit es nicht wegfliegt. Der Fußboden besteht aus gestampftem Lehm und ist nach einem guten Fang auch mal von Fischleibern und Gekröse bedeckt. Eine arge Sauerei, finden Ketils erwachsenen Söhne, die bereits in modernen Häusern wohnen. Sie können auch Ketils Gejammer wegen seiner Schulden nicht nachvollziehen, leben sie doch selber auf Pump ohne dass es ihnen den Schlaf rauben würde.

Ketil, selber ein freigebiger Mensch, der auch beim diebischen Nachbarn ein Auge zudrückt, wenn sich dieser wieder mal ungefragt an Ketils Vorräten bedient, hat auf einer Auktion einen Grindwal ersteigert. Irgendwann wird er ihn beim Bezirksvorsteher bezahlen müssen und Geld ist keines im Haus. Also sucht Ketil nach Möglichkeiten welches zu verdienen. Er läuft die Strände nach Treibholz ab, geht fischen und beginnt ein altes Boot zu restaurieren, gefolgt von seinem jüngsten Sohn Kálvur, der allerdings lieber die Hände in die Hosentaschen steckt, als sich nützlich zu machen. Die älteren Söhne lachen Ketil dafür aus. Ihnen würde es nicht im Traum einfallen mit einem Ruderboot hinauszufahren. Sie brausen mit Motorbooten über das Meer, oder warten im Hafen auf die großen Fischtrawler, um sich dort zu verdingen. Am Ende hat die ganze Plackerei Ketils Kraft und Nerven aufgezehrt ohne seine Kasse zu füllen. Deshalb greift er zum Allerletzten, um die Grindwalrechnung zu begleichen und seine Ehre wieder herzustellen. Er verkauft seine einzige Kuh. Zwei Jahre werden er und seine Frau nun ohne Milch auskommen müssen. Ein schwerer Schlag für einen Selbstversorger, wie Ketil es ist.

»Vater und Sohn unterwegs« ist ein melancholischer Roman, der eine Gesellschaft im Übergang vom Archaischen zur Moderne beschreibt. Dabei steht der Autor ganz auf Seiten Ketils, auch wenn er stellenweise durchblicken lässt, dass der Alte mitnichten immer recht hat. Augenzwinkernd flicht er Szenen ein, in denen Ketil sich das Leben unnötig schwer macht und ein wenig tolpatschig wirkt. Aber Ketil verkörpert Werte wie Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt untereinander, die mit dem Einzug der Moderne und des Egoismus zu verschwinden drohen.

Es gibt auch äußerst heitere Episoden. Ich denke da zum Beispiel an das arme Huhn, das zu spät wieder ins Haus zurückfindet und im Dunkel ständig von der Stange fällt. Ketils Frau hatte es zuvor ausgesperrt, um zu vermeiden, dass es dem Gast ins Essen kackt.

Erwähnt werden muss unbedingt die wunderschöne Ausstattung des Buches. Sie war der Grund, warum ich das Buch spontan am indiebookday gekauft habe. Außerdem wird hier der Übersetzer bereits auf dem Cover genannt, was ich sehr sympathisch finde. Ein Glossar und ein ausführliches Nachwort von Klaus Böldl tragen dazu bei, den Text in seiner kulturhistorischen Dimension erfahrbar zu machen. »Vater und Sohn unterwegs« ist heute verständlicherweise ein Klassiker, der als erster Roman das Färöische als Literatursprache etabliert hat.


Cover Hedin Bru, Vater und Sohn unterwegs

Heðin Brú
Vater und Sohn unterwegs
Aus dem Färöischen von Richard Kölbl
ISBN 978-3-945370-03-2
Guggolz Verlag