Jesper Wung-Sung – Opfer – Lasst uns hier raus!

Dieses Buch ist ein Alptraum. Seite für Seite möchte man sich kneifen, um aufzuwachen. Nimmt das Grauen, in dem Benjamin und seine Mitschüler gefangen sind, gar kein Ende? Wie viele Gräber müssen auf dem Sportplatz denn noch geschaufelt werden? Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und so liest man immer weiter, bis zum bitteren Ende.

An einem unerträglich heißen Sommertag bricht Biologielehrer Abrahamsen vor seinen Schülern zusammen. Blut rinnt aus seiner Nase. »Er hat nichts schlimmes«, beruhigt sie der Schulleiter. »Abrahamsen wird bald wieder fit sein. Geht nach Hause und erholt euch von dem Schreck. Für den Rest des Tages habt ihr schulfrei.«

Doch gerade als alle Schüler und Lehrer die Turnhalle verlassen wollen, betreten drei Anzugträger die Bühne und bitten alle noch einen Moment zu warten. Kurz darauf rollt schweres Gerät heran und ein vier Meter hoher Zaun wird um das Schulgelände gezogen. Sie sind eingeschlossen. Dann bricht auch noch das Mobilfunknetz zusammen und die Schule ist endgültig von der Außenwelt abgeschnitten. Keiner weiß warum.

Bis weitere Schüler und Lehrer erkranken. Erst kommt das Fieber, dann läuft Blut aus Ohren und Nase, die Augen werden milchig und auf der Haut erscheinen merkwürdige Streifen, als hätte sie eine große Katze gekratzt. Dann folgen Tod und Beerdigung auf dem Sportplatz. Einige Verzweifelte versuchen den Zaun zu überwinden. Aber jeder Fluchtversuch wird von der Drohne, die über dem Schulhof kreist, durch einem gezielten Schuss unterbunden. Bald sind alle Erwachsenen tot.

Zunächst genießen die Schüler ihre neue „Freiheit“, aber als alle Chipstüten und Bierflaschen geleert sind und das Fahrradfahren auf den Fluren nur noch langweilt, drängen sich die verzweifelten Fragen wieder in den Vordergrund. Hat sie die Gesellschaft da draußen vergessen, aufgegeben, gar geopfert? Wofür? Warum hilft ihnen keiner? Hat keiner Mitleid mit ihnen? Sollen sie warten bis zum toten Umfallen oder es selbst beenden?

Auf den letzten Seiten wacht man aus dem Alptraum auf, soviel sei verraten. Aber das Gedankenkarussell dreht sich noch lange weiter. In einer Zeit, in der fast jedes Jahr ein neuer gefährlicher Virus entdeckt wird, erscheint die Geschichte, die Jesper Wung-Sung so konsequent wie gnadenlos erzählt, sehr realistisch. »Opfer« hat mich genauso schockiert und beschäftigt, wie in den 80ern Gudrun Pausewangs »Die letzten Kinder von Schewenborn«.

So bedrückend die Geschichte, so poetisch ist die Sprache. Jesper Wung-Sung findet erstaunliche Metaphern, die dem jugendlichen Erzähler aber vollkommen angemessen sind. Der Autor befindet sich wirklich auf Augenhöhe mit seinen Leserinnen und Lesern. Wer diese Geschichte nicht schwarz auf weiß lesen möchte, dem sei übrigens das Hörbuch ans Herz gelegt, das bei der HÖRCOMPANY erschienen ist. Stopp-Taste-Drücken verboten.


Cover Jesper Wung-Sung, Opfer - Lasst uns hier raus

Jesper Wung-Sung
Opfer – Lasst uns hier raus!
Aus dem Dänischen von Friederike Buchinger
ISBN 978-3-446-25092-5
Carl Hanser Verlag