Sara Lövestam – Herz aus Jazz

Ich lese Danksagungen, weil kein Buch vom Himmel fällt. Den wenigsten Autorinnen und Autoren fließt der Text perfekt aus den Fingern in den Computer. Sie streichen, korrigieren, rippeln Handlungsstränge auf oder löschen die Arbeit mehrerer Monate. Sie teilen Textfragmente und Entwürfe mit Freunden, Lektorinnen, Kollegen, Fachleuten und überarbeiten ihren Text ein zweites, drittes, viertes Mal. Auch wenn viele Bücher im stillen Kämmerlein geschrieben werden, bleibt die Welt mit ihren Inspirationsquellen nicht außen vor. Und auf die bin ich neugierig.

Sara Lövestam zum Beispiel schreibt in »Herz aus Jazz«:
»Danke an alle Kinder und Jugendlichen, die überall auf der Welt in der Schule sitzen und über Tonarten, Schattierungen, Pi, Mittelalterästhetik, Adverbiale, Metaphysik, Neandertaler, Klöppelarbeiten, Farbenlehre und Flambieren grübeln, anstatt sich von den Schulhofhierarchien unterkriegen zu lassen. Eure Zeit wird kommen.«

Eine dieser Jugendlichen trifft man in »Herz aus Jazz«: Steffi Herrera aus Björke. Seit sie eine Platte des schwedischen Jazzmusikers Povel Ramel gehört hat, lässt sie diese Musik sie mehr los. Nach der Schule liegt sie auf ihrem Bett und übt stundenlang Bass, oder versucht der Schulklarinette ein paar Töne zu entlocken. Steffi hat Talent, das spürt sie. Was allerdings niemanden interessiert. Oder besser gesagt fast niemanden.

In der Schule ist Steffi meistens für sich, schon um Karro aus dem Weg zu gehen, die ihr gerne mal »Schlampe«, »Ekel« oder »Freak« hinterher ruft und auch sonst über ein beachtliches Repertoire an Gemeinheiten verfügt. Waren allerdings wieder mal alle Vorsichtsmaßnahmen vergeblich, setzt Steffi ihre Kopfhörer auf und tröstet sich mit Blues. So auch an jenem Wintertag, als auf halber Strecke auch noch der Akku den Geist aufgibt. Frustriert zieht Steffi die Stöpsel aus den Ohren und hört Jazz. Aus einem Fenster des Altersheims, vor dem sie stehen geblieben ist, strömt Musik.

So beginnt Steffis Freundschaft mit dem 90-jährigen Jazzbassisten Alvar »Küken« Svensson, der in den Vierzigern ein Star der Stockholmer Jazzszene war. Gemeinsam hören sie sich alte Platten an und Alvar erzählt von damals, als der Kaffee rationiert, der Jazz verpönt und seine große Liebe unerreichbar war. Damals radelte er tagsüber als Bote durch die Stadt und stand nachts auf der Bühne des Nalen, während das Publikum über die Tanzfläche wirbelte und Jitterbug tanzte. Aber Alvar hat auch ein offenes Ohr für Steffis Nöte und Zukunftsträume. Und er lehrt sie, hinter die Fassaden zu schauen, ganz besonders hinter Karros.

Während Steffi Alvar gebannt lauscht, reift in ihr der Mut, sich um einen Platz am Stockholmer Musikgymnasium zu bewerben. Nächstes Jahr wird Karro Geschichte sein, schwört sie sich. Sollen die anderen doch denken, was sie wollen, in Stockholm wird sie mit Gleichgesinnten über Basslines und Rhythmen fachsimpeln. Keiner wird sie mehr schräg ansehen, weil sie sich nicht für Jungs und Makeup interessiert, sondern Jazz und Synkopen. Doch bis dahin muss sie sich noch ein paar anderen Herausforderungen stellen.

Sara Lövestams »Herz aus Jazz« groovt. Es swingt zwischen damals und heute und singt den Blues vom steinigen Weg des Lebens. Es ist unterhaltsam wie ein Song von Povel Ramel oder Ulrich Tukur und den Rhythmus Boys, voller Wärme und Lebenslust. Besonders gut gefallen hat mir, wie Sara Lövestam mit den Erwartungen der Leserinnen spielt, um dann doch nicht in die Klischéefalle zu tappen. Diese Autorin weiß was sie tut, die Übersetzerin übrigens auch.


Cover Sara Loevestam, Herz aus Jazz

Sara Lövestam
Herz aus Jazz
Aus dem Schwedischen von Stephanie Elisabeth Baur
Übersetzung der schwedischen Liedtexte unter Mitarbeit
von Ursel Allenstein
ISBN 978-3-499-26900-4
Rowohlt Verlag