Håkan Nesser – Himmel über London
Ich habe eine Marotte. Bevor ich mit dem Lesen eines Buches beginne, entferne ich den Schutzumschlag. Um ihn zu schützen. Ich mag einfach keine eingerissenen oder angeschrammten Schutzumschläge.
Dabei habe ich schon so manche Überraschung erlebt.
So auch bei Håkan Nessers neuem Buch Himmel über London. Hier steht auf dem Buchdeckel in großen geprägten Buchstaben: Steven G. Russell, Bekenntnisse eines Schlafwandlers. Halte ich vielleicht einen Fehldruck in den Händen? Mitnichten, wie sich im Verlauf des Buches herausstellt. Håkan Nesser beginnt sein Verwirrspiel mit dem Leser lediglich bereits schon hier.
Der sehr vermögende und todkranke Leonard Vermin zitiert seine Frau Maud, seine beiden Stiefkinder Gregorius und Irina und einen Mann names Milos Skrupka anlässlich seines 70. Geburtstages nach London. Er will ihnen eine wichtige Ankündigung machen.
Milos ist neugierig, wer der unbekannte Gönner ist, der ihm eine Reise samt Hotel nach London spendiert. Und er freut sich darauf, seine alte Liebe Leya wiederzusehen.
Irina hingegen ist alles zuwider und sie hat Mühe ihre Phobien in Schach zu halten. In ihrem Reisegepäck befindet sich ein Buch: Bekenntnisse eines Schlafwandlers von Steven G. Russell.
Gregorius spekuliert auf ein großes Erbe. Er muss so schnell wie möglich seine Unterschlagungen begleichen, wenn ihm sein Leben lieb ist. Da ist es auch nicht hilfreich, dass er seinen Chef nicht nur um sein Geld, sondern auch mit seiner Frau betrogen hat.
Maud hat einfach nur Sorge, dass Leonard die Feier nicht übersteht, besonders, seit sie ihn splitterfasernackt auf dem Hotelbalkon gefunden hat und er sich zeitweise weder an sie noch daran erinnern kann, was passiert ist.
Leonard ist ebenfalls beunruhigt. Er hat merkwürdige Traumgesichter, in denen er glaubt, ein Mann namens Lars Gustav Selén zu sein, den er zwar nicht kennt, der aber Macht über ihn zu haben scheint.
Lars Gustav Selén wiederum ist Schriftsteller und befindet sich zur gleichen Zeit in London. Er ist zu Recherchezwecken angereist und will endlich seinen großen Roman abschließen. Doch leider scheint er nicht mehr Herr seiner Figuren zu sein. Sie widersetzen sich seinen Plänen und handeln eigenmächtig, so dass Lars Gustav Selén nur mit Mühe und Not die Kontrolle über seine Geschichte behält. Zumindest glaubt er das.
Håkan Nesser spielt in diesem Roman meisterhaft mit den Erwartungen der Leserinnen und Leser, in dem er Wendungen einbaut, die mit der inneren Logik einer Geschichte nicht unmittelbar vereinbar und damit umso überraschender sind. Das macht dieses Buch unglaublich spannend und zu einer echten Herausfordung. Es ist viel Konzentration erforderlich, um nicht die Fäden zu verlieren. Belohnt wird man aber mit einer Geschichte, die noch lange nachhallt, so wie die Glocke Mighty James, die in dem Buch vom Blitz aller Blitze getroffen wird und ganz London in Schwingungen versetzt.
Und das Ende des Romans ist ein Donnerschlag.
Håkan Nesser
Himmel über London
Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt
ISBN 978-3-442-75318-5
btb Verlag