Ebba D. Drolshagen – Zwei rechts, zwei links
Selbermachen
Ich gebe zu, dass ich ab und an gerne stricke. Abends auf der Couch, wenn das Hirn schon im Stand-by-Modus ist und ich zu nichts anderem mehr fähig bin, als mich von der Glotze berieseln zu lassen, gibt mir Stricken das Gefühl, trotzdem produktiv zu sein.
In der Regel suche ich mir allerdings Projekte aus, die dann doch ein gerütteltes Maß an Konzentration erfordern. Und sei es nur, damit ich mir nicht mit den Nadeln die Augen aussteche.
Menschen, die ohne hinzusehen und aus dem Kopf Jacquard-Muster stricken können, genießen meinen allergrößten Respekt. Wie alle Pullover-Strickerinnen, denen es gelingt formschöne Exemplare herzustellen, die nicht die Anmutung eines Kettenhemdes haben.
Als bekennende Maschenprobenhasserin ist mir das jedenfalls noch nicht gelungen. Deshalb konzentriere ich mich lieber auf überschaubare Projekte, wie Stulpen, Weihnachtskugeln oder Vögel.
Darüber lesen
Genauso gerne kaufe ich mir Bücher mit Strickanleitungen, am liebsten in Skandinavien. Wenn diese Bücher dann auch noch ein paar Zeilen Kulturgeschichte enthalten, um so besser. Schon aus diesen Gründen war das Buch von Ebba D. Drolshagen, »Zwei rechts, zwei links. Geschichten vom Stricken« zwingend. Die Autorin ist nämlich nicht nur begeisterte Strickerin, sondern übersetzt auch aus dem Norwegischen und Dänischen, weshalb ich auf viele spannende und erstaunliche Geschichten aus diesem Sprachraum hoffte. Ich wurde nicht enttäuscht.
Illegale Pullover
So weiß ich jetzt zum Beispiel, dass während der deutschen Besatzung Norwegens geheime Botschaften mittels »illegaler Pullover« geschmuggelt wurden. Findige Norwegerinnen saßen in Bussen und Bahnen und strickten, während in den Wollknäueln Filme oder Dokumente verborgen waren. Vermutlich strickten sie langsamer als gewöhnlich oder ribbelten das Gestrickte immer wieder auf. Schließlich konnten sie während der Fahrt nicht allzu viel Wolle verbrauchen, sonst hätte sich das Versteck aufgelöst.
Legendäre Strickerinnen
Faszinierend finde ich auch die Geschichte der Magd Marit Guldsetbrua Emstad aus Selbu, die eines Tages ein anderes Mädchen dabei beobachtete, wie diese ein schwarzes Muster in einen weißen Socken einstrickte. Während Marit die Ziegen hütete und dabei wie üblich Handschuhe und Strümpfe strickte, begann sie selbst mit zweifarbigen Mustern zu experimentieren. Und erfand das heute weltweit bekannte Muster der Achtblattrose. Da das Entwickeln solcher Muster sehr viel Disziplin, Geduld und Ausdauer benötigt, wie Ebba D. Drolshagen betont, kann man Marit und die anderen Strickerinnen aus Selbu nur bewundern. Insgesamt erfanden sie mehrere hundert solcher raffinierten Motive. Hinzukommt, dass die Frauen damals mit Nadeln der Stärken 1 oder 1.5 strickten und die Reihen aus entsprechend vielen Maschen bestanden. Das Wort „filigran“ dürfte in dieser Hinsicht fast eine Untertreibung sein.
Not macht erfinderisch
Ebenso interessant ist die Tatsache, dass Frauen in Krisenzeiten ihre Familien mit Stricken durchbrachten. Meist geschah dies im Verborgenen und es wurden allerlei Tricks angewendet, um den schönen Schein zu wahren. So kamen mehrfarbige Streifen in Mode und Restverwertung wurde schick. Keine Frau musste sich mehr Gedanken darüber machen, ob sie genug Wolle der gleiche Farbe hatte. Sie konnte gefahrlos Altes aufribbeln und mit Neuem mischen ohne ärmlich zu wirken.
Im Bohuslän entstand durch die Weltwirtschaftskrise eine Initiative, die heute als echte schwedische Tradition gilt. Die Ehefrauen arbeitsloser Steinbrucharbeiter taten sich unter der Leitung der Gouverneursgattin Emma Jacobson zusammen, um Design-Pullover zu stricken und gewinnbringend zu verkaufen. Der Plan ging auf und Filmdiven, wie Ingrid Bergman und Grace Kelly schmückten sich mit den exquisiten Bohus-Pullovern und machten sie weltberühmt.
Ein Füllhorn an Geschichten
Ebba D. Drolshagen erzählt aber auch von dem ältesten Stricksocken, der jemals gefunden wurde, von Frauen, die Wolle färben, von Musterwanderungen, strickenden Männern, schicklichen und unschicklichen Arten, die Nadeln zu halten und von Strickerinnen in der Literatur. Sie berichtet von UFOs (unfinished objects), Handschuhen mit zwei Daumen, Heimarbeit, Zwang, Ausbeutung und dem Glück, seine Leidenschaft auf Ravelry zu teilen. Dieses Buch ist ein wahres Füllhorn an Geschichten und Informationen und als Lektüre das pure Vergnügen. Denn ganz gleich, wovon das jeweilige Kapitel handelt, es steckt voller Herzblut, Leidenschaft und Begeisterung. So mitreißend kann nur jemand schreiben, der für eine Sache brennt.
P. S.: Eine herrliche Strickgeschichte findet sich übrigens auch in Gudrun Skrettings Buch »Mein Vater, das Kondom und andere nicht ganz dichte Sachen« (Ü: Gabriele Haefs). Hier versucht Anton seinen Vater an die Frau zu bringen, in dem er ihn heimlich bei einem Strickkurs anmeldet – was ungeahnte Folgen hat. Mehr über das Buch könnt ihr hier in meinem Blogbeitrag erfahren.
Ebba D. Drolshagen
Zwei rechts, zwei links
Geschichten vom Stricken
Mit einem Vorwort von Martina Behm
ISBN 978-3-518-46814-2
Suhrkamp