Mich Vraa – Die Hoffnung

Die Reise auf der Hoffnung

Im Mai 1803 betritt die fünfzehnjährige Maria Frederiksen zum zweiten Mal in ihrem Leben die Fregatte Hoffnung. Lange hat sie ihrem Vater, dem Reeder des Schiffes, in den Ohren gelegen mitsegeln zu dürfen. Ihre Mutter ist aus sehr persönlichen Gründen strickt dagegen. Dennoch treten Maria und ihr Vater die Reise an. Offiziell soll die Hoffnung von Kopenhagen zu den Kapverdischen Inseln segeln und einen Zwischenstopp in Frederikshavn oder Skagen einlegen. Dort wollen Vater und Tochter wieder von Bord gehen. Es soll nicht mehr als ein Ausflug werden, damit das Mädchen endlich Ruhe gibt. Doch Maria wird erst viele Jahre später wieder nach Dänemark zurückkehren.

Wenige Monate zuvor ist das Verbot des Sklavenhandels in Kraft getreten. Da aber die Pflanzer auf den Westindischen Inseln ihren wachsenden Bedarf an Arbeitskräften nicht über die „Zucht“ decken können, ist mit dem Einschmuggeln von Sklaven aus Guinea immer noch eine hübsche Summe Geld zu verdienen. Aus diesem Grund hat sich der Kapitän der Hoffnung schon lange über das Verbot seines Reeders hinweggesetzt, die Goldküste Afrikas anzulaufen, dort Sklaven zu bunkern und sie anschließend auf den Westindischen Inseln zu verkaufen. Selbst die Anwesenheit des Reeders und seiner Tochter an Bord halten ihn nicht von seinem Plan ab, auch diesmal wieder Afrika anzusteuern.

Als Marias Vater im Zwischendeck Ketten und Fußfesseln entdeckt, ahnt er, was jahrelang hinter seinem Rücken vor sich gegangen ist. Zumal er bis zu den fatalen Ereignissen vor sechzehn Jahren selber die Dreiecksroute befahren hat. Wütend stellt er den Kapitän zur Rede. Es kommt zu einer Schießerei und Maria wird mit ihrem schwer verletzten Vater in eine Kajüte gesperrt. Ohne eine Chance auf Flucht erlebt sie wie in Guinea über 180 Sklaven geladen werden, wie Babys, die an Bord sterben, als Köder auf Angelhaken gespießt und Kranke über die Reling entsorgt werden.
Kurz vor Erreichen der Westindischen Inseln gerät die Hoffnung in einen Orkan und läuft auf eine Klippe auf. Mit Mühe und Not kann sich Maria retten, um kurz darauf fast als Sklavin verkauft zu werden. Denn Maria ist trotz ihrer dänischen Eltern eine Mulattin.

Ein Humanist unter Sklaven

Zwanzig Jahre später reist der humanistische Professor Mikkel Eide auf die Inseln. Er will sich einen eigenen Eindruck vom Leben der Sklaven verschaffen, um später ein Pamphlet gegen die Sklaverei zu schreiben. Sein Gastgeber ist der zynische Pflanzer Marcussen, der Eides Idealismus immer wieder auf die Probe stellt. Bleibt Eide wirklich standhaft, wenn ihm eine junge Sklavin zur freien Verfügung angeboten wird? Wie wird er sich auf der Jagd nach Maroons verhalten und kann er wirklich den Verlockungen von Opium und Rum widerstehen?

Je mehr Zeit Eide auf der Insel St. Thomas verbringt, desto mehr erliegt er ihrem Charme und der tropischen Lebensart. Erst eine einschneidende Begegnung mit Gouverneur Peter von Scholten, der 1848 eigenmächtig die Sklaverei auf den Inseln beenden wird, rüttelt ihn wach.
Als Eide daraufhin zurück nach Dänemark reist, bittet von Scholten ihn noch um einen Gefallen. Eide soll Maria die Tasche mit ihren Briefen und Aufzeichnungen bringen, die sie nach ihrem Schiffbruch in den Sklavenkasematten verloren hat und die ihr aus Gründen bislang nicht zurückgegeben werden konnte. Welche Gründe das sind, will ich hier nicht verraten.

Eine vielstimmige Collage

Mich Vraas Roman »Die Hoffnung« ist eine überaus geschickt komponierte Collage aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Logbucheinträgen. Die dunklen Absichten des Kapitäns offenbaren sich allein schon durch die Diskrepanz zwischen seinen offiziellen und privaten Logbucheinträgen. Die unmenschliche Verwahrung der Sklaven an Bord beschreibt Maria in ihren nie abgeschickten Briefen an die Mutter und die Ereignisse auf den Plantagen betrachtet man durch die idealistischen Augen Eides und mit dem desillusionierten Blick Marcussens.

Diese vielen Perspektiven und Sichtweisen erzeugen ein unmittelbares und faszinierendes Panoramabild vom Leben auf den Westindischen Inseln und den Folgen unbegrenzter Macht.
Bevor der Roman seine ganze Spannung entfaltet, muss man allerdings erst mal einige Seiten am Stück lesen, um die Anfänge der roten Fäden zu finden und sich in Zeit und Raum zu orientieren. Dann allerdings kann man das Buch kaum mehr aus der Hand legen.


Cover Mich Vraa, Die Hoffnung

Mich Vraa
Die Hoffnung
Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg
ISBN 978-3-455-00155-6
Hoffmann und Campe Verlag