Alexander L. Kielland – Jakob

Die Geschichte eines Aufsteigers

Manche Geschichten sind zeitlos. Im Fall von Alexander L. Kiellands »Jakob« muss man sagen leider. Dass hier eine alte Geschichte neu erzählt wird, deutet sich schon auf den ersten Seiten an. Wir machen dort Bekanntschaft mit der Hauptfigur dieses Romans, einem großen, starken Bauernburschen, der eben nicht, wie der Titel des Buches vermuten lässt, Jakob heißt, sondern Tørres Snørtevold. Jakob, gemeint ist der biblische Jakob, ist Tørres großes Vorbild und das Leitmotiv des Romans.

Der biblische Jakob

Wer, so wie ich, nicht ganz bibelfest ist, dem sei hier kurz die biblische Geschichte in Erinnerung gerufen. Jakob ist der Sohn von Isaak und Rebekka und der Zwillingsbruder von Esau. Mit List und Tücke bringt Jakob Esau dazu, sein Erstgeburtsrecht an ihn abzutreten. Später erschleicht er sich mit Hilfe seiner Mutter auch noch den Erstlingssegen. Darüber geraten die Brüder in Streit und Jakob muss zu seinem Verwandten Laban fliehen, der zwei Töchter hat: Lea und Rachel.
Jakob will die jüngere der beiden Schwestern, Rachel, zur Frau nehmen, wird bei der Hochzeit aber von Laban ausgetrickst und mit der älteren Schwester Lea verheiratet. Um Rachel doch noch heiraten zu können, muss sich Jakob sieben weitere Jahre bei Laban verdingen. Durch sein Geschick bei der Viehzucht, harte Arbeit und Skrupellosigkeit wird Jakob zu einem reichen Mann. Sogar den Ringkampf mit einem Engel besteht er und betrachtet dies als göttlichen Segen für sein Tun und Handeln. Jakob gilt heute als einer der Stammväter Israels.

Goldrausch

Auch Tørres hat ein Händchen für Schafe. Als er eines Tages nach einem günstigen Viehhandel seine ersten Goldstücke in den Händen hält, wächst bei ihm die Gier nach mehr. Also macht sich der Bauernsohn auf den Weg in die Stadt, um Reichtum und Anerkennung zu erlangen.
Mit seiner Ehrlichkeit ist es von Anfang an nicht weit her. Warum für eine Überfahrt bezahlen, wenn man das Boot auch stehlen kann. Zurückkehren wird er ja eh nicht.
Zu Tørres großer Frustration wird er allerdings erwischt und auch noch ausgelacht – von einem Städter, der das Boot für sich und seine lustige Gesellschaft beansprucht. Fortan ist neben Gier auch Rache Tørres Antriebskraft.

In der Stadt angekommen merkt Tørres schnell, dass die Geschäftsleute ihn zwar gerne anstellen möchten, aber nur gegen Kost und Logis. Von einem Lohn und damit Geld kann gar keine Rede sein. Aber Tørres wäre nicht Tørres, wenn er sich schnell geschlagen geben würde. Und so wählt er eine Stelle, die ihn zumindest in die Nähe von Scheinen und Münzen bringt – als Laufbursche im Laden der Witwe Knudsen. Bereits am ersten Tag greift er in die Kasse und steckt sich ein paar Öre ein.

Der Emporkömmling

Zu Beginn ist die Situation folgende. Zwischen den Läden Knudsen und Brandt herrscht eine friedliche Koexistenz. Brandts führt die luxuriösen Artikel für die gehobenen Gesellschaftsschichten und Knudsen bedient die Bedürfnisse der weniger gut betuchten. Man hilft sich gegenseitig wo man kann, bürgt und stellt Wechsel aus. Zwischen dem Inhaber von Brandts, Gustav Krøger, und der Witwe Knudsen scheint sogar eine Ehe nicht ganz ausgeschlossen.
Die Buchhaltung der Witwe Knudsen erledigt ihr leitender Angestellter Anton Jessen, ein eitles Muttersöhnchen mit Schlag bei den Frauen. Auch Fräulein Thorsen, ebenfalls eine Angestellte der Witwe Knudsen, schwärmt für Jessen.

Im Hause Krøger ist gerade Tochter Julie aus dem Pensionat zurückkehrt. Ihre Freundschaft mit Frau Steiner sorgt bei Tante Sofie für Unmut, denn Frau Steiner ist eine geschiedene Person.
Nach ihrer Heirat musste Frau Steiner leider feststellen, dass ihr Mann im Gegensatz zu ihr bereits über umfängliche sexuelle Erfahrungen verfügte. Woraufhin sich Frau Steiner ihrem Ehemann solange verweigerte bis dieser in die Scheidung einwilligte – inklusive finanzieller Versorgung. Ein Schachzug, den Tørres zutiefst bewundert und Frau Steiner besonders begehrenswert erscheinen lässt.

Ein Pastor weiß Rat

Pastor Opstad spielt eine ebenfalls nicht ganz unwesentliche Rolle. Ebenso wie Tørres kommt er vom Land, hat aber die High Society von Stavanger bereits recht gut durchschaut. Er hat längst erkannt, dass Bildung keinen gesellschaftlichen Wert mehr hat und dass das Wissen der Einflussreichen aus Unsinn, Kinderglauben und vagen Vermutungen besteht. Von selbstständigem und freiem Denken kann schon lange keine Rede mehr sein. Was Tørres mehr als zupass kommt.

Das einzige, was der Junge vom Lande lernen muss, sind Buchhaltung und die Lehre von Zins und Zinseszins. Und hier erweist sich Tørres als Meisterschüler. Mit diesem Wissen und dem täglichen Griff in die Kasse gelingt es ihm sich ein beträchtliches Vermögen aufzubauen, Wechsel aufzukaufen und still und heimlich leise, die wirtschaftliche Macht über Brandts und Knudsens zu erlangen. Jetzt ist die Rache an allen, die bislang auf ihn herabgeschaut haben, sein.

Und nicht nur das. Mittels Intrigen, Manipulation und viel Fleiß gelangt Tørres sogar in höchste Ämter. Er spielt die Menschen in seiner Umgebung geschickt gegeneinander aus, erkennt ihre geheimen Sehnsüchte und nutzt ihre Schwächen skrupellos für sich aus. Er verkuppelt, umschmeichelt und lässt fallen. Sein Vermögen scheffelt er ohne Rücksicht auf Verluste – und wird dafür bewundert und gefeiert.

Und die Moral von der Geschicht‘

Alexander L Kiellands »Jakob« ist eine beissende Gesellschaftskritik, die sehr eindringlich zeigt, dass sich gewisse Dinge immer wieder wiederholen. Was zu biblischen Zeiten schon erfolgreich war, das funktionierte offensichtlich auch zu Kiellands Zeiten, also Mitte des 19. Jahrhunderts. Mich hat die Geschichte auch an die grandiose Fernsehserie »Bad Banks« erinnert. Und es lassen sich sicherlich noch weitere aktuelle Parallelen finden, wenn man darüber nachdenkt. Nicht umsonst sind „Kleider machen Leute“ und „Der Deibel scheisst auf den größten Haufen“ immer noch äußerst treffende Redewendungen.

Alexander L. Kiellands Roman »Jakob« ist großartig komponiert, herrlich bösartig und pointiert geschrieben. Meiner Meinung nach ist er tatsächlich ein Meisterstück, wie der Klappentext sagt. Möge dieser Klassiker erneut viele Leserinnen und Leser finden und zum Nachdenken anregen.

Eine Zeitgenossin und gute Bekannte von Alexander L. Kielland war Amalie Skram, deren »Professor Hieronimus« ebenfalls sehr zu empfehlen ist.


Cover Alexander L. Kielland, Jakob

Alexander L. Kielland
Jacob
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Mit Anmerkungen
ISBN 978-3-520-61201-4
Alfred Kröner Verlag