Tove Jansson – Das Sommerbuch

Jetzt, Anfang September, wenn der Sommer bereits herbstliche Züge trägt, enden die Schulferien und alle gehen wieder ihrem gewohnten Alltag nach. Der letzte Sand wird aus den Badelaken geschüttelt, unzählige Urlaubsfotos gesichtet und abgespeichert und die Reiseführer mit einem Hauch von Wehmut ins Regal gestellt.

In Skandinavien werden die Sommerhäuser bald winterfest gemacht oder, wie Tove Jansson es in ihrem Sommerbuch beschreibt: die Dinge rücken nach und nach näher an das Haus heran. Die Gartengeräte kommen in den Schuppen, das Zelt wird abgebaut und das Boot auf dem Slipwagen an Land gezogen. Zuletzt werden die Blumenkübel ins Haus gestellt, der Schornstein entrußt und die Veranda mit Seehundfett gestrichen.
Für die sechsjährige Sophia und ihre Großmutter endet ein Inselsommer voller Spiel, Abenteuer, Entdeckungen, Erfahrungen, Heiterkeit und Melancholie. Doch zurück zum Beginn.

Sophia ist ein Wildfang, neugierig und lebhaft, manchmal trotzig und stur. Sie streift über die Insel, badet, sammelt Knochen und findet Langeweile aasig. Die Großmutter versucht mit ihrem Krückstock Schritt zu halten und Sophias viele Fragen zu beantworten. Sie ist geduldig und hat ein tiefes Verständnis für die Sorgen und Nöte eines Kindes. Als Sophia eines Tages unerlaubter Weise auf die Barke klettert und sich vor lauter Angst nicht mehr herunter traut, greift die Großmutter zu einem Trick. Sie wirft kurzerhand ihren Krückstock ins Wasser und bitte Sophia ihn zurückzuholen. Denn wie bitteschön soll sie sonst nach Hause kommen und außerdem wird ihr gerade furchtbar schwindelig. So bleibt Sophia gar nichts anderes übrig, als all ihren Mut zusammen zu nehmen und Planke für Planke hinunter zu klettern und nach dem Krückstock zu tauchen.

Und die Großmutter kann spielen. Sie erfindet Piratenabenteuer, schnitzt wunderliche Figuren aus Baumrinde und baut venezianische Paläste, die im Moor versinken. Sie ist erfrischend respektlos und genauso dickköpfig wie ihre Enkelin. Das „Betreten verboten“-Schild auf der Nachbarinsel empfindet sie geradezu als Herausforderung, mit dem Boot anzulanden und das neugebaute Haus in Augenschein zu nehmen. Eigentlich, so sagt sie, ist es selbstverständlich, dass man als wohlerzogener Mensch nicht die Inseln anderer Leute betritt, aber dieses Schild ist eine solche Ungehörigkeit, dass man das Verbot einfach übertreten muss.
Natürlich werden Sophia und ihre Großmutter prompt von dem Besitzer erwischt. Aber der ist glücklicherweise freundlich und immerhin so gut erzogen, dass er seine ungebetenen Gäste zu Saft und Kognak einlädt.
Langweilig wird es beiden nicht während der langen Sommermonate, nur manchmal ist die Großmutter müde und erschöpft und eine Ahnung von Vergänglichkeit trübt die Leichtigkeit des Sommerlebens auf der Schäreninsel.

Das Sommerbuch von Tove Jansson hat diesen besonderen Zauber, der auch vielen Büchern Astrid Lindgrens innewohnt.
Ein Zauber, der aus der Verbundenheit mit der Natur, überbordender Phantasie und Spontanität gewirkt ist. So entstehen Abenteuer.
Vielleicht sollte man das Sommerbuch als kleine Aufforderung verstehen, ab und zu auf Vernunft und Vorsicht zu pfeifen. Wer weiß, wie viele lustige, glückliche und spannende Momente einem dann vergönnt wären?


Cover Tove Jansson, Das Sommerbuch

Tove Jansson
Das Sommerbuch
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
Mit einem Vorwort von Esther Freund
ISBN 978-3-7857-2498-9
Lübbe