Manche Bücher sind wie ein Abend am knisternden Kamin mit einer Tasse Tee, während draußen der Schnee wirbelt. Sie wärmen und spenden Geborgenheit. Bereits nach den ersten Seiten fühlt man sich heimisch und freut sich auf die kommenden Stunden. Genau so ein Buch ist Eis von Ulla-Lena Lundberg.
Mona Kummel und ihr Mann Petter ziehen mit ihrer kleinen Tochter Sanna auf die Örar, einer kleinen Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden. Petter, obwohl noch nicht examiniert, wird der neue Pfarrer der Gemeinde, vertretungsweise. Kein anderer kann sich im Moment vorstellen, so weit draußen dieses Amt zu übernehmen. Und auch wenn das Pfarrhaus zugig und feucht ist und die Landschaft karg, freut sich die Familie auf diesen Neuanfang. Besonders die resolute Mona sieht die Möglichkeiten, die sich ihr hier bieten. Endlich bekommt sie ihren eigenen Haushalt, endlich ihr eigenes Vieh, endlich kann sie ihr Leben gestalten, wie sie es für richtig hält.
Während Petter sich mit seiner Gemeinde vertraut macht und gerne die Zeit bei einem netten Plausch vergisst, überrascht Mona die Inselbewohner mit ihrer zupackenden Art und ihrem tiefen Verständnis für Vieh und Landwirtschaft. Innerhalb eines Jahres geben ihre Kühe die beste Milch und ihre Wiesen das nahrhafteste Heu. Sie hält die kleine Familie mit strenger Hand auf Kurs, Petter hingegen singt lieber, als dass er predigt und seine kleine Tochter hat ihn schon längst um den kleinen Finger gewickelt.
Und doch hängt ihr gutes Leben auf den Inseln allein von Petter ab. Schon deshalb drängt Mona ihn immer wieder an den Schreibtisch. Er soll endlich sein Examen ablegen und sich auf die Stelle als Örarpastor bewerben. Sonst müssen sie vielleicht doch wieder packen und das Pfarrhaus einem anderen überlassen. Und Petter lernt und schreibt und besteht das Examen knapp. Fast wäre er vor Übermüdung durchgefallen. Denn wie es der Teufel so will, bittet ihn eine alte Bekannte genau am Abend vor der Prüfung um seelischen Beistand. Fast die ganze Nacht muss Petter mit ihr reden, im Ohr Monas Stimme, die ihn ausschimpft, weil er sich nicht die nötige Ruhe gönnt. Aber was soll er machen, schließlich ist dies seine Pflicht als Pfarrer. Und für die Stelle auf den Örar ist ein Bestanden ohne Prädikat ausreichend.
Der Winter naht. Endlich kommt die Zeit der Geselligkeit. Man gleitet mit Schlitten über das zugefrorene Meer, besucht seine Nachbar oder tätigt seine Einkäufe in Adele Bergmans Laden. Das Leben wird leichter. Doch diesmal lässt die große Kälte auf sich warten, immer noch gibt es offene Stellen in der dünnen Eisdecke, die bei Dunkelheit kaum zu sehen sind. Auch das Postschiff fährt noch und hinterlässt tanzende Eisschollen, die sich nur langsam wieder zu einer rauhen und rissigen Fläche zusammenfügen. Nur wer das Meer kennt und sich mit seinen geheimnisvollen Mächten gutgestellt hat, betritt gefahrlos das unsichere Eis. Und dies sind viele auf den Örar.
Petter braucht eigentlich nur ihren Spuren zu folgen, als er eines abends nach einer Versammlung den kurzen Weg übers Eis nach Hause nimmt. Aber kann er die Spuren in der Dunkelheit überhaupt noch richtig erkennen? Er vertraut auf Gott und wenn er aufblickt, sieht er das Licht vom Pfarrhaus und die Silhouette von Mona, die in der Küche geschäftig auf und ab geht. Plötzlich bricht er ein, taucht wieder auf und krallt sich an der Eiskante fest. Dann bemerkt seinen Fehler. Er hat kein Messer dabei, das er in das Eis rammen und mit dem er sich rausziehen kann. Also ruft er, minuten-, stundenlang, immer wieder. Doch als ihn endlich jemand hört, ist es zu spät.
Mona ist Witwe, mit allen Konsequenzen. Sie verliert nicht nur ihren geliebten Mann, sondern auch ihr Heim, ihr gewohntes Leben, alles was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. In ein paar Monaten wird der neue Pfarrer in das Haus ziehen, dann muss sie sich und ihre Kinder versorgen können. Zum Trauern bleibt nur die Nacht, wenn sie Totenwache bei Petter hält. Tagsüber werden die Trauergäste bewirtet, das Vieh versorgt, die Beerdigung organisiert und die Kisten gepackt. Aufrecht und unnahbar, ohne eine sichtbare Gefühlsregung geht Mona ihrer Arbeit nach und verbittet sich jegliche Hilfe und tröstende Umarmungen. Zusammenbrechen ist keine Option. Als der neue Pfarrer eintrifft, verlässt sie die Örar in eine neue Zukunft auf dem Festland.
Ich bewundere diese starke Frau und die Autorin, die eine solche Figur zu schaffen vermag. Die das alltägliche Leben auf den Inseln so detailreich und liebevoll schildert, dass man sich in dem Buch zuhause fühlt und jede Minute des Lesens genießt, auch wenn es traurig endet.
Ulla-Lena Lundberg
Eis
Aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig
ISBN 978-3-86648-206-7
mareverlag