Dorthe Nors – Rechts blinken, links abbiegen

Mehr als verlangt

Eigentlich möchte Sonja nichts weiter als Autofahren lernen. Oder zumindest herausfinden, ob sie dazu überhaupt fähig ist. Aber wie Sonja immer wieder feststellen muss, bekommt man in der Regel mehr als man verlangt hat.

Jytte, ihre Fahrlehrerin zum Beispiel, hält die liebe lange Fahrstunde Monologe über das Taufkleid ihrer Enkelin und warum Thailänder kein Auto fahren können. Unterbrochen werden ihre Erzählungen nur ab und zu von kurzen Kommandos und lauten Flüchen. Für Erklärungen, zum Beispiel wie die Schaltung funktioniert, bleibt keine Zeit und Sonjas Frustration wächst von Fahrstunde zu Fahrstunde. Wie soll sie jemals die Fahrprüfung ablegen, wenn ihr niemand beibringt, wie man schaltet?

Auch von ihrer Masseurin Ellen bekommt Sonja mehr als sie will. Denn Ellen massiert nicht nur ihre verkrampften Schultern, sie interpretiert auch ungefragt Sonjas Bindegewebe, aus dem sich ungeheuer viel ablesen lässt. Unter anderem, dass an Sonjas Verspannungen nicht die unzähligen Stunden am Schreibtisch schuld sind – Sonja übersetzt gerade den neuen Krimi des schwedischen Bestsellerautors Gösta Svensson – sondern ihre Aversionen gegen die immer blutrünstigeren Morde. Außerdem muss sich Sonja ellenlange Vorträge darüber anhören wie sich Stresssymptome in Redewendungen manifestieren. Man denke nur an „die Zähne zusammenbeißen.“ Als wären das sonderliche Neuigkeiten für eine Übersetzerin.

Aus der Balance

Dieses Mehr ist allerdings nicht Sonjas eigentliches Problem, sondern dass, was ihr fehlt: die Natur, lebendige Vögel, Liebe, Familie. Alles was sie im Grunde genommen hinter sich gelassen hat, als sie mit ihrer besten Freundin von Jütland nach Kopenhagen gezogen ist. Damals wollte sie weit weg von der biederen Provinz und den Ansprüchen der anderen an ihr Leben. Schon als Kind hatte Sonja keine Lust sich anzupassen und ungeschriebenen Regeln zu folgen. Aber jetzt mit Mitte Vierzig und als Single fragt sie sich, ob ein Leben ohne eigenen Kopf vielleicht nicht wenigstens etwas leichter gewesen wäre. Zumal sie mittlerweile erkannt hat, dass in der Großstadt die gleichen Verhaltensmuster gelten, wie in der Provinz.

Wer damals in ihrem Dorf etwas auf sich hielt, fuhr einen auf Hochglanz polierten Traktor und benutzte Rexona. In Kopenhagen waren stattdessen Christiania-Bikes und Vollbart angesagt. Irgendeinem Trend lief und läuft man überall hinterher. Und wer nicht aufpasst, stolpert dabei und fällt auf die Nase. Oder verliert zumindest kurzzeitig das Gleichgewicht. Egal ob man nun in der Großstadt oder auf dem Land lebt. Aber mit etwas Glück ist genau in diesem Moment einen Hand zur Stelle, die einen auffängt und stützt.

Nominiert und gepriesen

Mit »Rechts blinken, links abbiegen« war Dorthe Nors in diesem Jahr für den Man Booker Preis nominiert und ich finde es unendlich schade, dass sie ihn nicht bekommen hat. Dorthe Nors beherrscht die Kunst, mit wenigen Worten sehr viel sehr präzise auszudrücken. In einem Satz erzählt sie mehrere Geschichten gleichzeitig ohne ihn zu überfrachten und Lebenskluges verschmilzt mit einer großen Portion Humor und Selbstironie. Dieses Buch ist ohne Wenn und Aber gut, sehr gut sogar, grandios.


Cover Dorthe Nors, Rechts blinken, links abbiegen

Dorthe Nors
Rechts blinken, links abbiegen
Aus dem Dänischen von Frank Zuber
ISBN 978-3-0369-5747-0
Kein & Aber Verlag