Maria Antas – Wisch und weg

Wisch_und_wegMeine Mutter hat neulich einen Umzugskarton gefunden, den ich vor 25 Jahre gepackt und nie wieder geöffnet habe. Vermisst habe ich ihn nie, weshalb ich umso gespannter war, welche Schätze ich da wohl wieder finden würde. Neugierig fing ich an zu wühlen und zu niesen. Ein paar Federn hatte sich im Laufe der Jahre in kleinste Partikel aufgelöst, die jetzt in einer bunten Wolke aus dem Karton aufstiegen. Nach einem kleinen Staubsaugerintermezzo setzte ich die Durchsuchung des Kartons fort und fand: einen alten Lippgloß mit Vanillegeschmack, Parfümproben, eine Marionette, ein Handarbeitskörbchen, einen angefangenen Häkelpullover samt Anleitung aus den 80ern und eine halbautomatische Strickliesel. Jeder einzelne Gegenstand löste ein Flutwelle an Erinnerungen und Emotionen aus. Es war wunderbar. Danach habe ich alles wieder hübsch in den Umzugskarton gepackt und ihn zurück auf den Dachboden gestellt, denn ich kann mich, wie Maria Antas, nicht von meinem Gerümpel trennen. Weiterlesen

Sólrún Michelsen – Tanz auf den Klippen

Cover_Tanz_KlippenAls Kinder haben wir manchmal Guckkästen gebaut. In einen Schuhkarton wurden Bäume, Häuser und Tiere aus Hochglanzpapier geklebt und die Seitenwände und der Boden bemalt. War die Szenerie fertig, wurde ein Loch in den Karton geschnitten, durch das man mit dem einen Auge linsten, während man das andere fest zukniff. Die Welt um einen herum verschwand. Man blickte in diese andere, selbstgebastelte Welt und malte sich aus, was dort alles geschah.

Die Geschichten von Sólrún Michelsen in »Tanz auf den Klippen« erinnern mich an diese Guckkästen. Mit jeder gelesenen und umgeblätterten Seite wirft man einen Blick in eine andere Welt, auf eine Szene, die sich auf kleinstem Raum abspielt. Oder genauer gesagt, schaut eigentlich die kleine färöische Erzählerin in einen solchen Guckkasten und beschreibt, was sie sieht.
Wie der Rauch von Fías Zigarre aufsteigt, während sie an der Nähmaschine sitzt. Die Stofffetzen und Fäden, die über dem Boden verteilt liegen und an den Nylonstrümpfen der Mutter hängen bleiben. Oder die Petroliumpumpe beim Kaufmann, die sie so gerne einmal selber bedienen würde und das Buch, in dem die Einkäufe angeschrieben werden, die die Mutter nicht bezahlen kann. Weiterlesen

Jenny Nordberg – Afghanistans verborgene Töchter

Nordberg_AfghanistanIn Afghanistan ist es ein offenes Geheimnis, dass in einigen Familien Mädchen als Jungen verkleidet aufwachsen. Für die westliche Welt ist das Phänomen der bacha posh, wie diese Kinder genannt werden, eine Überraschung und auf den ersten Blick nur schwer vereinbar mit unserer Vorstellung vom streng konservativen Afghanistan, das wir aus den Abendnachrichten kennen. Mädchen mit kurzen Haaren, unverschleiert und offenem Blick, die auf Bäume klettern und Drachen steigen lassen, das passt so gar nicht zu unserem Bild von der verschüchterten, Burka tragenden Afghanin, die das Haus nur in Begleitung ihres Mannes oder ihres Bruder verlassen darf. Und doch sind gerade die bacha posh ein Resultat des radikalen Patriarchats, wie die investigative Journalistin Jenny Nordberg höchst einleuchtend beschreibt. Weiterlesen

Heðin Brú – Vater und Sohn unterwegs

vater-und-sohn-unterwegsEigentlich ist es die ewig alte Geschichte. Die Eltern verstehen ihre Kinder nicht und umgekehrt. Die Kinder sind zu faul, nehmen das Leben zu sehr auf die leichte Schulter, denken nicht an die Zukunft und schmeißen das Geld zum Fenster raus. Die Alten hingegen gehen nicht mit der Zeit, können ihr Leben nicht genießen, sind viel zu verbissen und haben sowieso keine Ahnung. Die Platte kennen die meisten zu genüge.

Interessant und spannend wird es aber, wenn der Konflikt zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort ausgetragen wird, wie dies in dem Roman von Heðin Brú der Fall ist. »Vater und Sohn unterwegs« spielt Anfang der 40er Jahre auf den Färöern, als Moderne und Technik auch dort langsam Einzug halten. Weiterlesen

Anna Munch – Frauen

Cover_Munch_FrauenSeit dem modernen Durchbruch ist Skandinavien international bekannt für seine starken Frauenfiguren. Sie sind schon fast ein Markenzeichen, wie Jakob Holm, Lektor für skandinavische Literatur und Kultur an der University of Texas Anfang März in der dänischen Wochenzeitung Weekendavisen schreibt. Seine texanischen Studentinnen lesen mit Begeisterung Ibsen und Amalie Skram, weil sie dort die Konflikte beschrieben finden, die sie in ihrem eigenen Alltag beschäftigen.
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in Texas nicht sonderlich verbreitet, Sexualkunde und Abtreibung sind heiß diskutierte Themen und ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihr Leben und ihren Körper kaum vorhanden. Anna Munchs »Frauen« würde dort sicherlich mit Begeisterung gelesen, zumal die Autorin mit ihrem eigenen bewegten Leben auf großes Interesse stoßen dürfte. Weiterlesen