
Katja Kettu – Forschungen einer Katze
Wiedergeburt
Einmal noch wiedergeboren werden. Ein einziges Mal noch Wissen für das Archiv des Amtes für Forschung und Unterstützung der Lichten Lebensformen sammeln. Noch einmal als Seelenführer tätig sein und dann diese ungeschickten, sturen Wesen namens Mensch hinter sich lassen und ins Nirwana eingehen. Das war der Plan.
Aber statt als Kind der Schriftstellerin in den 2020er Jahren in Helsinki das Licht der Welt zu erblicken, findet sich die Seele im Körper einer Katze wieder. Auch Ort und Zeit stimmen nicht. Wir schreiben das Jahr 1917 und die Katze ist gerade dabei in einem nordfinnische Fluss ertränkt zu werden.
Während die Schriftstellerin in ihrem Badezimmer die Spuren ihrer Fehlgeburt beseitigt und zusammenbricht, wird die Katze im letzten Moment von Eeva, Tochter der Wilden Kaisa, gerettet. Eeva, ein Verdingmädchen von zweifelhaftem Ruf – sie soll leicht zu haben sein und noch die alten Zaubersprüche kennen – nimmt sich des schwarzen, tropfnassen Fellbündels an.
Eeva
Mit Eeva zieht sie zu Makte auf die Insel Saari. Makte, Erbe eines großen Hofes, ist fasziniert von den Versprechen des Sozialismus. Die Zeiten sind hart. Missernten und Gewalt haben die Menschen verbittert. Maktes Bruder ist wie so viele in die USA ausgewandert, um dort sein Glück zu suchen. Makte hingegen träumt von einem besseren Leben in Russland und zieht auf Seiten der Roten in den Krieg.
So oft er kann, schreibt er Briefe an Eeva. Versichert ihr, dass er sie liebt und berichtet von seinen Erlebnissen. Doch die Briefe erreichen Eeva nicht. Helmi, Maktes Mutter, fängt jeden einzelnen ab. Ihr ist die Beziehung ihres Sohnes mit dem Verdingmädchen ein Dorn im Auge. Auf gar keinen Fall und unter gar keinen Umständen soll Eeva jemals Bäuerin auf Alkula werden. Eine Frau, die den Ruf hat, eine Hexe zu sein und vermutlich noch nicht mal konfirmiert ist, kommt ihr nicht ins Haus.
Deshalb begeht Eeva eines Tages einen fatalen Fehler. Auf der Suche nach Informationen über Maktes Verbleib, macht sie sich auf den Weg nach Uhtua. Dort auf dem Markt, wo sie sich kennengelernt haben, hofft sie andere Rote zu treffen, die vielleicht Nachricht aus Russland haben. Sie erfährt von der Unterschlagung der Briefe und dass Makte lebt, fällt aber auf dem Heimweg in die Hände der Weißen, die gezielt Jagd auf Rote machen. Eeva wird schwanger.
Die Schriftstellerin
Und die Katze? Die Katze ist durch das Jahrhundert gereist und sitzt im Badezimmer der Schriftstellerin. Sie lauscht den einsamen Klagen der trauernden Frau, beobachtet ihre Verzweiflung und hört ihre Rufe nach den Vormüttern. Sie vernimmt den Frust der Schriftstellerin ob der Treulosigkeit der Männer. Und sie philosophiert über das merkwürdige Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Warum um alles in der Welt will sich die Schriftstellerin unbedingt domestizieren lassen?
Immer wieder hat sich die Schriftstellerin erst von dem Lyriker und dann dem Großen Boss erniedrigen lassen. Nur für den Großen Boss hat sie die unsägliche Aufgabe übernommen, die banalen Memoiren eines Bürgersohnes zu verfassen – die dann gegen alle Absprachen unlektoriert und willkürlich eingekürzt auf den Markt geworfen wurden. Mit der Flut an Verrissen ließ der Große Boss sie allein. Eine neue Frau war da schon längst an seiner Seite.
»Das unterscheidet den Menschen von der Katze. Ich wäre schon lange vor dieser Aufgabe abgehauen und hätte mich dem wilden Lied des Sommers ergeben. Ich hätte mir einfach die Freiheit genommen und wäre weggelaufen.«
Die Katze verfolgt, wie die Schriftstellerin zusammenbricht, in der Psychiatrie landet und ihre Sprache verliert.
Forschungsergebnisse
Doch weder für Eeva, noch für die Schriftstellerin, noch für die Katze ist dies das Ende. Das Leben geht weiter. Eeva wird mit dem heimgekehrten Makte eine Familie gründen. Sie wird ihm eine Tochter gebären, die einen Sohn zur Welt bringt, der eine Tochter zeugt, die Schriftstellerin wird. Die Frauen werden den Widrigkeiten des Lebens die Krallen zeigen und sich der Furcht entgegen stemmen. Sie werden lernen zu überleben und sich immer wieder vom Boden aufsammeln. Trotz Krieg, Trauer, Verlust, Hunger, Gewalt und seelischen Verletzungen. Trotz allem.
Katja Kettus irrwitziger Roman ist mitreißend geschrieben, voller kluger Beobachtungen und sehr berührend. Ich habe ihn mit großer Begeisterung gelesen und finde es faszinierend, wie Zeiten und Handlungen miteinander verwoben sind und sich der Kreis am Ende auf raffinierte Weise schließt.
»Die Forschungen einer Katze« sind tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes ein einzigartiges Leseerlebnis.

Katja Kettu
Forschungen einer Katze
Aus dem Finnischen von Tanja Küddelsmann
ISBN 978-3-86337-222-4
Weissbooks
Foto: Abdu Rahman auf Unsplash